… in der Kunst am Beispiel
des Europäers Franz Liszt«
Vorwort zum Katalog
von Mag. Renate Oberbeck, Kunsthistorikerin »
An einem magisch zu nennenden Ort, der Cselly-Mühle in der burgenländischen Gemeinde Oslip, die erstmals 1515 urkundlich erwähnt wurde, treffen sich seit dem Jahr 2000 internationale Künstler aller Sparten. Musiker, Tänzer, Schriftsteller und bildende Künstler lassen aus einem jährlich neu gestellten Thema ihre Ideen wachsen und nehmen die inspirative Kraft auf, die aus der Gemeinschaft und aus der Kraft dieses Ortes hervorgeht.
Dieses von Christa Prets initiierte grenzüberschreitende Kunstprojekt, das ca. eine Woche dauert, beginnt mit einem Tag der »offenen Fenster«, an dem man mit den Künstlern direkt ins Gespräch kommen kann, um sich dann, am letzten Tag, in einer Schlusspräsentation mit den entstandenen Kunstwerken bekannt zu machen bzw. auseinander zu setzen. Dazwischen liegen die Tage der gedanklichen und handwerklichen, sprich künstlerischen Genese, die wie ein Spiegelbild der unterschiedlichen Charaktere, künstlerischen Techniken und Auffassungen variabel abläuft. Auch der Ort selbst wird zu einem wesentlichen und befruchtenden Indikator für den Schaffensprozess. Arbeitsräume, die sich zum Innenhof, dem geselligen Zentrum bei Schönwetter öffnen, Räume, die Durchblicke in das wuchernde Grün der Umgebung gestatten, verwinkelte Treppen, die zu oftmals ungewöhnlich großzügigen Ateliers führen und mit Blumen geschmückte Arkaden und Terrassen, die wichtige Freiräume eröffnen, bilden den Rahmen für das Entstehen eines beeindruckenden Oeuvres.
Für das Thema des Symposiums 2010, »Hör das Licht – Sieh den Klang / Hear the light – See the sound«, das sich auf die Spuren »synästhetischer Phänomene in der Kunst am Beispiel des Europäers Franz Liszt« begab, muss dieses Zusammenspiel der verschiedenen Kunstrichtungen und die Ausstrahlung des Ortes umso intensiver gewirkt haben. Die vor Ort wahrgenommenen Klänge, die aus offenen Fenstern und hinter geschlossenen Türen hervordringen, die Farben der Umgebung und das sich stets verändernde Spiel des Lichts lieferten die ergänzenden Parts zu diesem Leitgedanken. Genauso abwechslungs- und spannungsreich, oft von großer Leichtigkeit durchdrungen, präsentieren sich nun die Arbeiten der bildenden Künstler am Ende des Symposions.
Die aus Bayreuth stammende Künstlerin Gudrun Schüler gab sich bei ihren großformatigen, abstrakten Bildern ganz dem synästhetischen Empfinden hingegeben und Farben, Duktus und Bildaufbau nach Musikstücken Franz Liszts geschaffen, die je nach ihrer emphatischen Stimmung von Licht durchfluteten Grau-, Blau- und Türkistönen über Farbkompositionen, die kosmischen Lichtquellen gleichen bis zu tiefdunkelblauen Bildozeanen mit imaginären Lichtblicken wechseln. Diesen Bildern steht ein in kraftvolle Rottöne getauchtes Bild gegenüber, dessen Inferno nur durch sparsamst eingesetzte, kühlend bläuliche Lichtschleier Widerpart geboten wird.
Ein paar Räume weiter stellten österreichische Künstler des Organisatorenteams ihre Werke gemeinsam in einem Raum aus. Wolfgang Horwath, der seine Zeichnungen und Gemälde gerne mit Texten verbindet, fällt besonders durch zwei Porträtbilder Franz Liszts auf, die als Paar zu verstehen sind. Vom linksseitigen Vollprofil, das den Komponisten in Grisaille-artiger Manier büstenhaft konzipiert, verlaufen auf gewellten, leicht schräg hinab geneigten Linien Textzeilen als gedanklicher Quell auf das nun ins Halbprofil gerückte Antlitz. Und es vollzieht sich augenblicklich ein Wandel. Das geistige Porträt mit geschlossenen Augen erweckt sein Gegenüber, das durch den Gedankenfluss farblich durchblutet wird, indem sich das ebenfalls bleiche Porträt allmählich mit rosa bis violetten Farben belebt und nun mit wachen, geöffneten Augen Teil des Diesseits wird. Und nachdem sich multiplizierende, gedichtartige Gedankenfetzen synästhetischen Inhalts mit dem farbigen Bildnis getroffen haben, entladen sie sich wie elektrisierende Fäden und verblassen allmählich. Fragen, wie »Did you hear …a butterfly laugh?« oder »Have you ever smelled God?« und Aufforderungen wie: »Listen to the sunset« oder »…Hear the sunrise« geben Ahnung von der vielfältigen Vernetzung emphatischer Eindrücke.
Ähnlich und doch ganz anders fällt der Zugang Markus Hubers zum Thema der Synästhesie aus. Ähnlich insofern, als auch er zwei großformatige Gemälde erarbeitet hat, die als korrespondierende Einheit zu begreifen sind. Ähnlich vielleicht auch in der noch stärkeren Reduzierung der Farben, die vor allem mit dem Hell-Dunkel-Effekt in sensiblen Grautönen spielt. Ganz anders jedoch in der Loslösung vom Figurativen, die umso stärker den Eindruck von unendlicher Stille bewirkt. Doch dann schiebt sich vor den faserig nebeligen Hintergrund ein leicht gebogener Ast – im linken Bild im unteren Drittel als schräg ansteigende dunkle Barriere, aus der aus einem Liniengewirr unruhiger heller Mikroben nadelschlanke Säulen wie Stalagmiten aufwachsen und an einer Stelle sogar bis zum oberen Bildrand vordringen – im rechten Bild im oberen Drittel als schräg absinkender weißer Balken, von dem es Stalaktiten regnet, die wie zarte weiße Vorhangfäden zu Boden fallen. Hier entspringen sie einem dunkel gekrausten Netzwerk kleinster Partikel, das sich in der Mitte konzentriert verdichtet hat. Diese Mikrostrukturen begleiten anfangs die weißen Fäden, die stellenweise zu schwingen beginnen, um dann allmählich zu verschwinden und den Vertikalen vollends Raum zu geben. Und plötzlich erobert sich der Klang herabfallender Tropfen die Stille. Licht und Dunkel begegnen und ergänzen einander. Abstraktion und Natur werden zur Einheit im Wechselspiel der graphisch tonigen Kompositionen.
Johannes Haider, der in Oslip lebt und arbeitet, schöpft in seinen Graphiken noch deutlicher sichtbar aus der ihn umgebenden Natur. Vom Wind gebogene Gräser geben in ihrer sich wiegenden Leichtigkeit eine Ahnung von der Weite der burgenländischen und ungarischen Ebene. Titel wie: »die Wiese blüht in dem Sommer« unterstreichen die Naturverbundenheit, die nicht nur in seinen Kaltnadel-Ätzungen, sondern auch in seinen Zeichnungen und Mischtechniken zum Tragen kommt. Verdichtete Überlagerungen der tänzerisch wogenden Halme, wechseln mit parallelen Schraffuren und sparsamst eingesetzten Blütenrispen, die in ihrer farbigen Akzentuierung über dem dunklen Gräsermeer schweben. Zwei horizontale Linien knapp oberhalb des unteren Bildrandes hindern den Betrachter, sich selbst in dem Liniengewirr zu verlieren und sorgen somit für die nötige Distanz, bergen aber auch die Gefahr der Ausgrenzung.
Der Keramiker und Objektkünstler Robert Schneider präsentiert eine große Tonkugel, die auf einer schwarzen, zylinderförmigen Basis aufliegt. Von oben ist diese Kugel durch einen regelmäßigen Spalt bis über die Mitte hinaus eingeschnitten. Diesem einfachen Objekt ist ein zweites zugeordnet. Es ist ein zu einem Gesichtprofil geformter Draht, der einem korrespondierenden, hohen schlanken Sockel entspringt. Die Leichtigkeit des Porträts, das die Züge Liszts trägt, findet in der schweren Kugel als Hort innerer Klänge und erdiger Düfte seine Aufgabe und fügt sich als Gefäß der Gedanken für den Porträtierten auf diese Weise harmonisch zu den Doppelbildern Hubers und Horwaths.
Der Photokünstler Hans Wetzelsdorfer näherte sich der Thematik ebenfalls mittels eines Lisztporträts, das er in Passbildgröße seriell vervielfältigte und pixelartig auf quadratisches Bildformat zusammenfügte. Als Quintett stellt er vier dieser Bilder in unterschiedlichen Grundtönen zusammen, die wie große Briefmarkenbögen in Graublau, Braun, Aubergine und Grauviolett in einen farbigen Dialog treten, der Einblick in die musikalische Gestimmtheit des Künstlers zu bieten vermag.
Stärker dem Licht zugeneigt präsentiert sich die Rauminstallation des international bekannten Künstlers Jean-Luc Guin’Amant, die die halbtrichterförmig ausgespannte Fallschirmseide durch den gezielten Einsatz von Lichtspots alabasterartig glänzen lässt. Sie dient als Hintergrund und Auffangnetz für schwebende, schmetterlingsgleiche Flugobjekte aus Seidenpapier, die in wechselndem Hell- bis Dunkelbraun als Körper und Körperschatten fungieren. Ihre Flugbahn strebt von einem baumartigen Gebilde aus zu dem erleuchteten Zentrum, das spiralförmig umkreist wird, indem die dem Licht zu nahe gekommenen Geschöpfe gleich Ikarus in die Tiefe stürzen und dort ihr Schattendasein fristen.
Ganz der Licht und Schattenthematik verpflichtet sind auch die Bilder der Ungarin Teréz Szilágyi, die mit ihren Jalousien- und Fensterbildern den Blick von innen nach außen gleiten lässt, wobei dies durchaus in doppeltem Sinn verstanden werden kann als Ausdruck für die Besinnung auf das eigene Innere und die Öffnung zur Umwelt und andererseits das Licht in den Raum gefiltert hereinholt. Gleichzeitig sind die Bilder der Künstlerin Spiegel der Ateliersituation in Oslip, die beim Durchschreiten der Räume ebenfalls von dem ständigen Wechsel zwischen Innen-und Außenwelt geprägt ist. Die flächenhaften Bilder sind von starker geometrischer Wirkung, indem sie ein strenges, von Horizontalen, Schrägen und Vertikalen bestimmtes Kompositionsschema verfolgen. In unterschiedlichen Variationen spielt die Malerin dabei mit Lichtkontrasten, die aus dem Zusammenwirken zarter Farbnuancen oder stark ausgeprägter Hell-Dunkel-Malerei entstehen. Interessante Effekte entstehen durch Spiegelungen im Fensterglas, die sich harmonisch in das geometrische Raster einfügen. In einem ihrer Bilder tanzt eine rotweiße Lichtspiegelung rautenförmig auf blauschwarzem Grund und wirft mit den wellenartigen Schattenstreifen nochmals eine Spiegelung auf die dunkle Fläche. Das Spiel mit Hell-Dunkel treibt die Künstlerin bis zu einer radikalen Reduktion, indem nur ein in die rechte Bildhälfte gerückter schwarzer Balken vertikal den hellen Bildgrund durchschneidet. Diese Komposition erinnert sehr stark an die Bilder Newmans oder Mondrians.
Der 1956 in Bautzen geborene Hael Yxxs greift das Thema der Musik haptisch auf, indem er Tonbänder von Musikkassetten für seine Installationen einsetzt. Zwischen gerahmten Glasplatten arrangiert er mit den Bändern ein graphisch anmutendes Bild, dessen Linien sich überlagern, kreuzen, Freiflächen umrunden und sich auf diese Weise die gesamte Bildfläche dynamisch erobern. Dazwischen sind die leeren Kassettenhülsen als Zeugen ihrer Herkunft eingebettet und teilweise überwuchert. Dagegen evozieren zwei lange Stäbe, die ebenfalls mit Tonbändern mehrfach unregelmäßig umwickelt und an unsichtbaren Fäden aufgehängt sind, einen noch direkteren Bezug zur Musik. Wie übergroße Taktstöcke oder Trommelschlägel schweben sie im Raum, wiegen sich als Windspiele in wechselnder Konstellation und Intensität und spüren den inneren Takt des Betrachters auf.
Während hier eher das Kammermusikalische, Introvertierte betont wird, wirken die farbintensiven Bilder des Organisators Sepp Laubners, Betreibers der Cselley-Mühle, in der er auch sein eigenes Atelier besitzt, wie der Klangkörper eines ganzen Orchesters. Abstrakte Gemälde in warmen Kolorit, das durch feuriges Rot besondere Akkorde erhält, scheinen auf den ersten Blick willkürlich komponiert, bei genauerer Betrachtung erschließt sich jedoch die Notwendigkeit, mit der bestimmte Farbfelder aneinandergefügt wurden und durch gezielt eingesetzte Linien ein inneres Gerüst erhalten. Diese Farblandschaften schöpfen einerseits aus ihrer geographischen Umgebung, indem sich die Weite der burgenländischen Ebene in den großzügig angelegten Farbsegmenten spiegelt, andererseits erwachsen sie aus der inneren Gestimmtheit des Künstlers, dem es gelingt, beim Betrachter beide Komponenten anzusprechen.
Die Künstlerin Anne-Katrin Altwein aus Deutschland stellt gemeinsam mit ihrem Mann Raphael Wolf mittels einer »skulpturalen 3D-Echtzeit Grafik, basierend auf Filmmotiven von der Wand des Wohnhauses Franz Liszts« (von 1848-1861) einen direkten Bezug zu ihrer Heimatstadt Weimar und dem Komponisten her. In einem Zyklus von acht Bildern, die die Gedanken an die vier Elemente erwecken, tauchen immer wieder Köpfe und deren verzerrte Profile auf. Dabei spielten der Lichteinfall und die durch die Farbe bestimmte Grundstimmung eine wesentliche Rolle. Immer wieder tauchen schemenhafte Zitate archaisch anmutender Gesichter auf, die von der Hand der Künstlerin stammen und sich hier mit dem Grundmotiv verbinden. Zwischen Motiven, die an Höhlenausgänge, Höhlenbilder und Astralwelten erinnern, spannt sich der Bogen dieser dynamisierten utopischen Gegenden.