Textbeitrag von Peter Menasse
für »cahier d‘art« 2016 »
Fluchtpunkt
Europa – eine
Kakophonie
Acht Haupt- und Nebenwidersprüche
Gewalten-
trennung
Die Staatssekretärin für Diversität: Der Hass zerstört viel
in unserer Gesellschaft. Es soll niemand das Gefühl haben,
dass er dem Hass im Netz ohnmächtig gegenübersteht,
dass er das einfach so hinnehmen muss und nichts tun kann.
Der Blogger: Tötet die Asylanten,
die sich noch im Land befinden.
Der Richter: Freispruch! Das ist keine konkrete
Aufforderung zu einer Straftat.
Chor der politischen Postenbesetzer:
Wir tun unser Bestes. Immer und überall.
Chor der Strafrichter:
Wir handeln streng nach den Buchstaben des Gesetzes.
Nichts ist eindeutig.
Alles Juden
oder was?
Der Kurienkardinal: Ein Europa, das sich gegenüber Migranten verschließt, erinnert mich an die tragische Situation der Juden in aller Welt am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Ein Jude: Kann man die Flucht unserer Vorfahren vor den Nazis tatsächlich mit der heutigen Fluchtbewegung vergleichen?
Ein zweiter Jude: Jedenfalls waren unsere Vorfahren keine Judenhasser wie so viele der Migranten aus arabischen Ländern, die von klein auf indoktriniert wurden, und die mit dieser Einstellung jetzt nach Europa kommen.
Ein Dritter: In beiden Fällen, gestern wie heute, waren und
sind die Menschen nicht willkommen. Und beide haben sie
versucht, dem Grauen zu entkommen.
Chor der stets Unbesorgten:
Wir heißen die Flüchtlinge willkommen, wir umarmen sie.
Chor der Ängstlichen:
Haltet sie draußen, sie nehmen uns alles.
Chor der politischen Postenbesetzer:
Was sollen wir bloß tun?
Wir werden der Lage nicht Herr.
Chor der politischen Hetzer:
Schützt die Heimat, sperrt die Grenzen, zückt die Waffen.
Frauenrechte
oder was?
Eine Frau: Die Rechte, die wir uns erkämpft haben,
sind in Gefahr. Sie achten uns nicht.
Eine Andere: Übergriffe gegen Frauen hat es
auch schon vor der Fluchtbewegung gegeben.
Chor der stets Unbesorgten:
Das sind nur Wenige. Die meisten sind gute Menschen.
Chor der Ängstlichen:
Die Mädchen trauen sich nicht mehr auf die Straße.
Chor der politischen Postenbesetzer:
Was sollen wir bloß tun? Wir werden der Lage nicht Herr.
Chor der politischen Hetzer:
Schützt die Frauen, sperrt die Grenzen, zückt die Waffen.
Schlepper-
wesen
Ein Jude: Mein Vater ist 1938 mit einem Kindertransport
der Quäker nach England geflüchtet. Er wäre hier ermordet worden.
Ein Welterklärer: Wer Flüchtlinge transportiert, ist ein Schlepper.
Chor der stets Unbesorgten:
Verfolgten muss man helfen, man muss sie retten.
Chor der Ängstlichen:
Die Schlepper bringen noch mehr und mehr und mehr.
Chor der politischen Postenbesetzer:
Was sollen wir bloß tun? Wir werden der Lage nicht Herr.
Chor der politischen Hetzer:
Hetzt die Schlepper, sperrt die Grenzen, zückt die Waffen.
Wer die
Heimat liebt
Ein Jude: Meine Eltern sind als Kinder dank der Flucht
nach England der Ermordung entkommen. Gleich nach
dem Krieg sind sie in ihre Heimat zurückgekehrt.
Ein Anderer: Jeder Mensch liebt seine Heimat.
Niemand will weg, wenn er nicht muss.
Chor der stets Unbesorgten:
Alles wird gut. Friede wird kommen.
Chor der Ängstlichen:
Sie bleiben hier und nehmen uns alles.
Chor der politischen Postenbesetzer:
Wir müssen sie integrieren, da schmieden wir schon große Pläne.
Chor der politischen Hetzer:
Schützt die Heimat, sperrt die Grenzen, zückt die Waffen.
Projekt
Europa
Ein Mensch: Ein Land tritt aus Europa aus und die Politiker
reden von den wirtschaftlichen Folgen. Dabei ist Europa
doch ein Friedensprojekt.
Ein zweiter Mensch: Ich fürchte, viele begreifen nach
so langer Zeit des Friedens nicht mehr, wie schnell ein
Krieg entstehen kann.
Chor der stets Unbesorgten:
Wir jagen Pokémon, wir feiern ab. Bei uns ist alles gut.
Chor der Ängstlichen:
Europa nimmt uns die Arbeit weg.
Chor der politischen Postenbesetzer:
Macht nicht uns verantwortlich. Alle Entscheidungen trifft Brüssel.
Chor der politischen Hetzer:
Austreten, die Heimat schützen, die Grenzen sperren.
Europäische
Freunde
Ein Mensch: Im November 1956 haben wir 180.000 Ungarn
aufgenommen.
Der ungarische Außenminister: Wir sehen keine Möglichkeit,
Flüchtlinge aus Österreich zurückzunehmen.
Chor der stets Unbesorgten:
Wir schaffen es – auch ohne Ungarn.
Chor der Ängstlichen:
Die Eindringlinge bleiben hier und nehmen uns alles.
Chor der politischen Postenbesetzer:
Wir sind nicht schuld. Die Entscheidungen trifft Brüssel.
Chor der politischen Hetzer:
An Ungarns Wesen wird die Welt genesen.
Wirtschaftsflüchtlinge
Der Landeshauptmann: Wir stehen zu unserer Verantwortung. Kriegsflüchtlinge benötigen Schutz. Gleichzeitig ist uns aber klar, dass wir Wirtschaftsflüchtlinge nicht aufnehmen können.
Der Landeshauptmannstellvertreter:
65 Millionen sind auf der Flucht.
Ein Zeitungsbericht: Wegen der
wirtschaftlich schlechten Lage entschlossen
sich in den Anfängen des 20. Jahrhunderts
große Teile Bevölkerung, das Bundesland zu verlassen. Was schließlich in einer Wirtschafts-
flucht nach Amerika endete.
Chor der stets Unbesorgten:
Wir fürchten uns nicht, wir haben doch hier wahrlich genug.
Chor der Ängstlichen:
Alle, alle kommen sie zu uns. Armut droht.
Chor der politischen Postenbesetzer:
Wir stehen zu unserer Verantwortung.
Bald werden wir die Lösung haben.
Chor der politischen Hetzer:
Raus aus Europa, die Heimat schützen, die
Grenzen sperren.
Biographisches zu Peter Menasse»
1947 geboren in Wien, Studium der Betriebswirtschaft. Lebt in Trausdorf/Trajštof, Burgenland und in Wien. Arbeitet hauptberuflich als Kommunikationsberater. Chefredakteur des vier Mal jährlich erscheinenden jüdischen Magazins NU (www.nunu.at), Autor des Buches »Rede an uns« (edition a) und Gastkommentator in zahlreichen österreichischen Medien. Mitwirkung an der Fernsehserie »Dajgezzen« im Wiener TV-Kanal »Okto« (www.okto.tv);
www.petermenasse.at
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